Innenministerium veranlasste Videobeobachtung
Auf Grundlage des Paragrafen 15a des Polizeigesetzes NRW kann die Polizei an einzelnen öffentlich zugänglichen Orten, „an denen wiederholt Straftaten begangen wurden und deren Beschaffenheit die Begehung von Straftaten begünstigt, mittels Bildübertragung beobachten und die übertragenen Bilder aufzeichnen“. Dazu müssen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass an diesem Ort weitere Straftaten begangen werden. Die Beobachtung ist, sollte sie nicht offenkundig sein, durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen.
Bis zum Jahr 2016 wurde von dieser Rechtsgrundlage kaum Gebrauch gemacht. Dann veranlasste das nordrhein-westfälische Innenministerium allerdings vor dem Hintergrund der Ausschreitungen in der Silvesternacht 2015/16 in Köln, dass landesweit weitere Kriminalitätsbrennpunkte, an denen eine Überwachung dienlich sei, identifiziert werden sollten. Infolgedessen wurden an den Standorten Essen, Duisburg, Köln sowie Dortmund an ausgewählten Orten Beobachtungskameras installiert. Die Installationen beruhen also nicht auf kommunalpolitischen Beschlüssen – Rat und Ausschüsse in Dortmund waren damit nicht befasst. Die GRÜNE Ratsfraktion hat allerdings im Polizeibeirat die Installation thematisiert und hinterfragt. Zusätzlich hatte der GRÜNE Kreisverband bereits zu deren Einführung die Videobeobachtung im Brückstraßenviertel kritisiert.
Kameras in Dortmund
In Dortmund werden seit Dezember 2016 die Brückstraße, die Seitenstraße „Helle" sowie der Platz von Leeds videobeobachtet. Die Polizei NRW wirbt aktuell mit durch Videobeobachtung aufgeklärten Straftaten in der Brückstraße und denkt laut über eine Ausweitung nach. Dabei hatte die Polizei noch im April 2016 auf eine Anfrage der GRÜNEN Ratsfraktion bestätigt, dass in der Brückstraße die Zahlen bei Diebstählen und Körperverletzungen in den vergangenen Jahren stark gesunken sind. Und auch im Vergleich zu anderen NRW-Städten ist die Anzahl der dortigen Straftaten eher niedrig.
Insgesamt sind in Dortmund 14 Kameras im Einsatz. Davon sind neun statisch, d. h. sie besitzen weder eine Zoomfunktion noch Bewegungsmöglichkeiten. Die restlichen fünf Kameras sind jedoch mit Zoom ausgestattet. Die Kameras sind an Hauswänden montiert. An den Zugängen zur Brückstraße/Helle befinden sich dazu Hinweisschilder. Private Bereiche, wie beispielsweise Fenster in angrenzenden Wohnhäusern, werden schwarz verpixelt. Die Kameras sind freitags und samstags jeweils von 22.00 Uhr bis 7.00 Uhr im Einsatz. Zudem werden Orte zu sogenannten „taktischen Zeiten" an Feier- und Brauchtumstagen videobeobachtet. Ebenfalls erfolgt dies anlassbezogen, d. h. bei städtischen Veranstaltungen mit starkem Anziehungscharakter für feierndes Publikum.
Von verunsicherter Bevölkerung eher akzeptiert
Gibt es einen wirklichen Bedarf für die Videobeobachtung? Nicht unbedingt, wenn man die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik nimmt. Danach ist die Zahl der Straftaten in Dortmund von 2016 auf 2017 um 11,76 Prozent auf 67.290 gesunken. Das ist der niedrigste Stand der Kriminalität seit 15 Jahren. Gleichzeitig gab es mit rund 57 Prozent die höchste Aufklärungsquote der letzten 20 Jahre. Doch trotz sinkender Kriminalitätszahlen fühlen sich auch in Dortmund viele Menschen zunehmend bedroht.
Eine Bevölkerung, deren subjektives Sicherheitsgefühl schwindet, akzeptiert nachweisbar eher Maßnahmen zur Überwachung. Insgesamt fällt die Akzeptanz für die Videobeobachtung in der deutschen Bevölkerung hoch aus, der Akzeptanzwert liegt zwischen 56 Prozent und 84 Prozent.
In der Wirkung mehr als fraglich
Hinsichtlich der Auswirkungen und der weiteren Anwendung der Kameras wurde von der Landesregierung eine Evaluation in Auftrag gegeben. Die nun vorliegende Auswertung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e. V. beschreibt und bewertet u. a. die Orte der Videobeobachtung, die Vorgehensweise der Beamten und die Umstände der Speicherung der Daten. Besonderen Raum nimmt die Frage ein, ob die Beobachtung auch zu einer Verringerung von Straftaten geführt hat.
Die Untersuchung stellt dazu fest, dass in einigen Städten die Straßenkriminalität insgesamt gesunken ist. Besonders deutlich in Essen mit 15,3 Prozent im gesamten Stadtgebiet. In Dortmund reduzierte sich das Aufkommen von Straßenkriminalität um 11,2 Prozent, in Düsseldorf um 10,8 Prozent und in Duisburg um 6,7 Prozent. In allen untersuchten Städten zusammen reduzierte sich das Aufkommen von Straßenkriminalität in den untersuchten Zeiträumen um 8,5 Prozent.
Doch die nähere Betrachtung der Daten zeigt ein anderes Bild:
So fällt der Rückgang von Straßenkriminalität in Aachen im videobeobachteten Bereich geringer aus als im restlichen, nicht videobeobachteten Stadtgebiet. Dies spricht deutlich gegen eine positive Wirkung der Videobeobachtung. In Dortmund kam es im videobeobachteten Bereich sogar zu einem Anstieg von Straßenkriminalität, während im restlichen Stadtgebiet eine Verringerung zu verzeichnen war.
Die Untersuchung folgert, dass die Videobeobachtung in den meisten der untersuchten Städte – wenn überhaupt – nur zu einer minimalen Verringerung der Straßenkriminalität geführt hat. Die Effekte fielen regelmäßig schwach aus. Zu beachten ist auch, dass die Videobeobachtung in allen untersuchten Stadtgebieten in ein Maßnahmenbündel integriert wurde. Welchen konkreten Beitrag die Videobeobachtung neben diesen begleitenden Maßnahmen geleistet hat, die seitens der Polizei im Zusammenhang mit der Einführung ergriffen wurden, kann die Studie nicht feststellen.
Unterdrückt Beobachtung sexuell motivierte Delikte?
Vordergründig lässt sich jedoch insbesondere bei den Delikten zur sexuellen Selbstbestimmung eine starke Reduktion nachweisen. Die Untersuchung zeigt mit der Einführung der Videobeobachtung eine Verringerung von 30 Prozent in den betroffenen Bereichen, wohingegen im restlichen Stadtgebiet ein Anstieg von 14 Prozent zu verzeichnen ist. Schützt die Beobachtung also tatsächlich vor sexueller Gewalt?
Leider ist auch dies bei genauerem Hinsehen nicht der Fall: Denn die vergleichsweise deutliche Reduktion verteilt sich auf verschiedenste Straftatbestände. Sie geht am deutlichsten auf eine Verringerung in den Bereichen der sonstigen sexuellen Nötigung und Vergewaltigung/sexuellen Nötigung durch Gruppen zurück, die sich auch in ähnlicher Weise im sonstigen Stadtbereich findet. Der Anstieg im restlichen Stadtgebiet geht fast ausschließlich auf Delikte zurück, die unter den neuen Straftatbestand der sexuellen Belästigung (§ 184i StBG) fallen. Dieser Straftatbestand wurde fast zeitgleich mit den Beobachtungsmaßnahmen eingeführt, was den starken Anstieg im Stadtgebiet im Jahr nach Beginn der Videobeobachtung erklärt.
Ein erstes GRÜNES Fazit
Die Ergebnisse der Evaluation bestätigen uns in unserer Skepsis: Die Beobachtung von kriminalitätsbelasteten Orten in Dortmund verhindert Kriminalität nicht. Die Zahlen der Straßenkriminalität sind im videobeobachteten Raum sogar gestiegen.
Gleichzeitig sprechen mögliche Verdrängungseffekte, der Datenschutz und die Eingriffe in persönliche Freiheitsrechte eindeutig gegen mehr Überwachung. Denn dabei geraten auch viele Menschen ins Visier der Kameras, die mit Straftaten nicht das Geringste zu tun haben, wie wir auch auf einem überwachungskritischen Stadtspaziergang gezeigt haben. Gleichzeitig nimmt mit dem schleichenden Einsatz von immer mehr Überwachungstechnik im öffentlichen Raum die Sensibilität für die Problematik dieser Technik immer mehr ab.
Auch wenn – oder gerade weil – die Videobeobachtung nicht auf einem kommunalen Beschluss beruht, wollen wir GRÜNEN, dass die Ergebnisse der vorgelegten Studie intensiv politisch diskutiert werden. Die Ratsfraktion hat deshalb beantragt, dass die Ergebnisse der Evaluation im Ausschuss für Bürgerdienste vorgestellt werden. Wenn Kommunalpolitik bei der Installierung der Kameras schon nicht mitentscheiden durfte, so sollte sie deren Auswirkungen zumindest diskutieren und bewerten.
Anstatt aufwendige, teure Technik zu installieren und in der benachbarten Polizeiwache ständig Polizeibeamt*innen vor einen Überwachungsbildschirm zu setzen, sollten diese lieber gleich regelmäßig im Viertel Streife gehen. Eine höhere Polizeipräsenz schreckt potenzielle Kriminelle eher ab und stärkt direkt das Sicherheitsgefühl der Passant*innen auf der Straße.