Luftqualität: Bisherige Maßnahmen greifen nicht
Die GRÜNE Fraktionssprecherin Ingrid Reuter hatte zum Einstieg eine gute Nachricht: In Dortmund sind schon viele Dinge in puncto Luftverbesserung auf dem Weg. Unter anderem bewirbt die Stadt Dortmund sich aktuell für das Landesprogramm „Emissionsfreie Innenstadt“. Das Programm gehört zu einer langen Reihe von Ansätzen, die über die Jahre auch Mobilität umweltfreundlicher gestalten sollten. Bisher haben die Maßnahmen jedoch in Sachen Luftreinhaltung nichts gebracht. Der gemeinsame politische Wille aller Fraktionen in Dortmund zu einschneidenden Maßnahmen fehlt, obwohl an allen Dortmunder Messstationen die Grenzwerte für Stickoxide überschritten werden.
Den Städten drohen Fahrverbote
Dortmund droht eine Klage – das machte Dirk Jansen, Geschäftsleiter beim BUND NRW, deutlich. Da Deutschland seit sieben Jahren die EU-weiten Grenzwerte nicht einhält, muss die Bundesregierung mit einem Vertragsverletzungsverfahren rechnen – und bleibt trotzdem untätig. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat deswegen jetzt auch Klagen gegen mehrere deutsche Städte eingereicht. Ergebnis: Düsseldorf muss bis September einen neuen Luftreinhalteplan vorlegen und wird damit so etwas wie eine Pilotstadt.
Dirk Jansen, Mitglied in der Kommission, die den Luftreinehaltplan überarbeitet, stellte die Vorstellungen des BUND für ein wirksames Vorgehen vor. Aus Sicht des Umweltverbandes muss der Autoverkehr um 60 bis 70 Prozent reduziert werden. Am schnellsten wirken Fahrverbote, es gibt jedoch auch andere Möglichkeiten. Der BUND hat ein eigenes Konzept für eine Blaue Plakette für Dieselfahrzeuge zur Minderung der Stickoxidbelastung vorgelegt. CSU-Verkehrsminister Dobrindt hatte die Einführung der Blauen Plakette verschoben. Dabei gehen auch nach dem Abgasskandal noch ca. 3.500 neue Diesel-Pkw pro Tag neu auf die Straße, obwohl sie die Grenzwerte nicht einhalten. Der BUND hatte deshalb jüngst mit der Unterstützung von 30.000 Menschen den Bundesverkehrsminister aufgefordert, den Verkauf von angeblich sauberen Dieselneufahrzeugen zu stoppen.
Doch was macht den Verkehr umweltverträglicher? Aus Sicht des BUND wirkt auch eine Entschleunigung bzw. Tempo 30 gegen die Stickoxidbelastung. Zur Minderung des Verkehrsaufkommens gehören für Dirk Jansen eine konsequente Parkraumbewirtschaftung und eine Verteuerung des Parkens. Auch für den Güterverkehr müsse eine Lösung gefunden werden. Dass die Binnenschifffahrt dabei keine Alternative ist, sondern ebenfalls hoch schadstoffbelastet, ist vielen unbekannt. Nicht umsonst wurde der Dortmunder Hafen bei der Ausweisung der Umweltzone ausgespart. In die Luftreinhaltung müssten auch stadtnahe Flughäfen einbezogen werden, was bisher ebenfalls nicht geschehe. Um den ÖPNV zu stärken, sollte über Gratiskonzepte, Bürgertickets oder günstige Jahrestickets nachgedacht werden. Eine gute Alternative zum Autofahren bieten auch Radschnellwege.
Gesundheitliche Auswirkungen
Die Zeit drängt. Denn Autos mit Verbrennungsmotoren verschlechtern permanent unsere Luft – egal, ob sie Diesel oder Benzin verbrennen. Umweltmedizinerin Dr. Claudia Hornberg aus Bielefeld zeigte sich in der Runde bestürzt, dass weiter hingenommen wird, dass durch die zu hohen Emissionen die Gesundheit der Bürger*innen auch in Dortmund anhaltend gefährdet ist. An Tagen mit hohen Stickstoffdioxidbelastungen spüren insbesondere Menschen mit Vorerkrankungen wie Asthma oder chronischer Bronchitis die Belastungen, die allergene Eigenschaft von Pollen kann verstärkt werden. Allgemein besonders betroffen seien Kinder und Senior*innen.
Feinstaub und Stickstoffdioxide in der Luft verkürzen unsere Lebenserwartung. Allein an der Stickoxidbelastung in der Luft sterben jährlich ca. 10.000 Menschen. Stickoxide sind jedoch nicht das einzige Problem, auch ultrafeine Partikel bzw. Feinstaub wird mit dem Verkehr und auch mit der Hausverbrennung ausgestoßen. Hier sieht Dr. Hornberg die dringende Notwendigkeit eines Gesamtkonzeptes.
Wie kann die Verkehrswende funktionieren?
Die Dominanz des Autos in den Städten wird immer mehr zum Problem. Dr.-Ing. Oscar Reutter vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie benannte klare Lösungen. Als Honorarprofessor für Umwelt und Verkehr an der Bergischen Universität hat er u. a. zum Klimaschutz und Autoverkehr unterschiedlicher Städte geforscht. Für ihn sind nicht nur Luftschadstoffe ein großes Problem, sondern ebenso krankmachender Lärm, Flächenverbrauch oder die Gefährdung von Kindern: Zu viel Raum für Autos verschlechtere definitiv die Lebensqualität in den Städten. Reutter ist davon überzeugt, dass neue Verkehrskonzepte durchaus möglich sind – wenn der politische Wille da ist.
Doch wie lässt sich eine Verkehrswende auch in den Köpfen erreichen? Einerseits sollten Anreize für umweltfreundliche Fortbewegung wie Radfahren, Zufußgehen und die Nutzung des ÖPNV gegeben werden. Dazu gehören auch Sharing-Systeme, Radschnellwege, autofreies Wohnen – es gibt ein großes Spektrum an Möglichkeiten. Andererseits zeigen viele europäische Städte wie z. B. Kopenhagen und Stockholm, dass auch zunächst unangenehme Maßnahmen wie Fahrverbote oder Citymaut durchgesetzt werden können. Städtische Maut-Systeme sind umstritten, doch die positiven Erfahrungen mit solchen Maut-Systemen in London, Mailand und Stockholm sprechen für sich: Die Verkehrsaufkommen verringern sich und es werden Mittel für Investitionen in umweltfreundliche Verkehrsmaßnahmen generiert.
Dass ein Viertel der Haushalte in Deutschland zwar kein eigenes Auto besitzt, jedoch unter dem Verkehrsverhalten der anderen leidet, ist für Reutter unzumutbar. Er plädierte eindeutig für eine radikale Reduzierung des Autoverkehrs. Das Umweltbundesamt habe in einer Studie berechnet, dass der Zielwert für nachhaltige Motorisierung bei einer Pkw-Dichte von max. 150 Pkw/1.000 Einwohner*innen liege. Der deutsche Durchschnitt liegt momentan bei 533 Pkw/1.000 Einwohner*innen – die Tendenz ist steigend.
Den Kommunen geeignete Instrumente an die Hand geben
Dr. Anton Hofreiter, Vorsitzender der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die GRÜNEN, brachte den von den GRÜNEN favorisierten Ansatz auf die Formel „Vermeiden, Verlagern, Verbessern“. Der motorisierte Individualverkehr sollte vermieden, dem Auto weniger Raum auf der Straße gegeben und das Auto selbst emissionsärmer gebaut und damit in der Ökobilanz verbessert werden. Dabei sieht der GRÜNE Bundestagsabgeordnete die entsprechend ausgerichtete Stadtplanung, die mehr Lebensqualität in der Stadt zum Ziel habe, als kommunale Aufgabe. Hofreiter kritisierte scharf, dass in den Kommunen über Jahrzehnte der Verkehr und der Straßenraum einzig und allein für Autofahrer*innen gestaltet wurden. Die Einteilung des öffentlichen Raumes wird auch aktuell noch zu sehr von der Mitte der Straße her gedacht. Das Auto benötigt im Straßenraum zu viel Platz.
Ein Beispiel für eine Stadtplanung, die konsequente Anreize weg vom Auto setzt, sei Wien: Das öffentliche Verkehrsnetz ist effizient und günstig. Wo immer es geht, werden Fahr-, Abbiege- und Parkstreifen zu großzügigen und sicheren Fahrrad- und Fußgänger*innenwegen umgebaut. Zudem konzipieren Planer*innen alte und neue Quartiere so, dass Wohnung, Job, Nahversorgung und Freizeitangebote möglichst um die Ecke liegen.
Aber nicht nur die Städte sind laut Hofreiter am Zug: „Der Bund muss den Kommunen endlich geeignete Instrumente an die Hand geben, um die gesundheitsschädlichen Belastungen zu senken.“ Auf Bundesebene sieht der GRÜNE Politiker dringenden Handlungsbedarf. Denn auch die Straßenverkehrsordnung sei vorrangig auf das Auto ausgerichtet. Als Beispiel nannte Hofreiter fehlende „Vorfahrts“-Regelungen für andere Verkehrsteilnehmer*innen, wie beispielsweise einen Rechtsabbiegepfeil für Radfahrer*innen.
Nicht zuletzt sind selbst die Finanzen autozentriert. So stellt das Gemeindefinanzierungsgesetz zu wenig Geld für den ÖPNV bereit. Die Förderung des sogenannten Umweltverbundes – Rad, ÖPNV, Zufußgehen – muss verstärkt werden. Um das Bahnfahren angenehmer zu gestalten, können Ticketsysteme vereinheitlich werden. „Wir wollen nicht nur Mobilität für 50 %, sondern für alle! Denn nur die Hälfte der Menschen hat überhaupt eine tägliche Autoverfügbarkeit“, brachte der Fraktionsvorsitzende die Frage der Gerechtigkeit auf den Punkt. Seit Bekanntwerden des Betrugs der Automobilkonzerne bei den Emissionswerten prangert Toni Hofreiter die Untätigkeit der Bundesregierung an. Denn immer noch hält so gut wie kein Dieselfahrzeug die Grenzwerte im realen Betrieb ein. Die Autoindustrie steht deswegen massiv unter Druck: „Die Bundesregierung darf sich nach dem Abgasskandal nicht aus ihrer Verantwortung ziehen.“
Als Fazit des Abends wies Ingrid Reuter am Ende darauf hin, wie schwer es ist, gegen die Windschutzscheibenperspektive anzukommen, die auch im Rat der Stadt Dortmund tagtäglich die Politik bestimmt. Umso wichtiger sind Initiativen wie z. B. an der hochbelasteten B1, die seit Jahrzehnten mit allen Mitteln auf die Problematik von Lärm- und Luftbelastung hinweisen und immerhin schon das Verbot für den Lkw-Durchfahrtsverkehr bei Nacht erstritten haben. Denn auch wenn die Rahmenbedingungen in Europa und vor allem in Berlin definiert werden, muss die Verkehrswende vor Ort und letztlich in den Köpfen der Verkehrsteilnehmer*innen stattfinden.