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Hauptstadt der Heuschrecken – Wohnungspolitik in Dortmund

„Die bevorzugte Dortmunder Wohnform ist die Siedlung.“ So beschrieb Max von der Grün in den Achtziger Jahren seine Heimatstadt Dortmund und genoss ihren sozialen Zusammenhalt.

Denn gut drei Viertel der Stadt ergießen sich in Siedlungen über die hügeligen Außenbezirke. Heute stellen wir fest: „Die gefürchtete Dortmunder Wohnform ist die Siedlung.“ Zumindest wenn sie einer der Wohnungs-Heuschrecken gehört. Denn nach den Wellen des Verkaufs an private Immobilienfonds zwischen 1999 und 2004 wandelt sich der wohnungspolitische Segen zur Hölle des Prekariats.

Wie verdient man Geld, wenn man eine Firma kauft? Preise rauf, Personal raus, Qualität runter. Und wenn die Zitrone ausgequetscht ist, schnell weiterverkaufen.

Finanzfonds aus aller Welt erkannten nach dem Crash der New Economy um die Jahrtausendwende: "Das geht auch mit Immobilien", und kauften riesige Wohnungsbestände in Deutschland. Wohnungspakete mit 1,9 Millionen Wohnungen wurden zwischen 1999 und 2008 in Deutschland verkauft – jedes Paket mindestens 800 Wohnungen groß. Bis Ende 2007 die internationale Immobilienblase platzte. So gehören 45.000 Wohnungen (= 15 Prozent) in Dortmund Private Equity Fonds.  

Preise rauf

Das geht bei Wohnungen nicht so einfach. Kauf bricht Miete nicht. Der Mietspiegel deckelt die Mieterhöhungen. Und doch versuchen die Gesellschaften durch üble Tricks, doch höhere Mieten durchzusetzen. So bluffte White Hall Fonds/LEG einfach und forderte ihre Mieter auf, Erhöhungen der Mieten von sich aus zuzustimmen – völlig ohne jede Rechtsgrundlage.  Die Deutsche Annington gründete eine Inkasso-Tochter und lässt von ihr völlig überzogene Mahngebühren eintreiben. 

Personal raus

Man spart bei der Hausverwaltung und bei den Reparaturdiensten, bis niemand mehr erreichbar ist. Manches Mal wissen  die MieterInnen nicht einmal mehr, wer der EigentümerInnen sind. Wenn sie dann wegen erheblicher Mängel die Miete mindern wollen, können sie das nicht: Solch eine Mietminderung muss man vorher schriftlich ankündigen, damit sie rechtswirksam ist.

Qualität runter

Die früher landeseigene LEG investierte jedes Jahr 21 Euro pro Quadratmeter, um ihre Wohnungen zu erhalten und zu modernisieren. Der neue Eigentümer White Hall investiert in die 12.000 Dortmunder Wohnungen nur noch 12 Euro – im Schnitt. 10 Euro gelten in der Branche als das absolute Minimum. Doch der Immobilienfonds Valbonne und sein Nachfolger IMW investierten in der Fischsiedlung in Eving nur 5 Euro. Bis die Siedlung so vermüllte, dass sie keine neuen Mieter mehr fanden. Jetzt sind es 7 Euro. Also senken die Immobilienfonds systematisch den Standard, unterlassen jede Reparatur. Und hoffen, die negativen Effekte nicht mehr mitzubekommen. 

Und wenn die Zitrone ausgequetscht ist, schnell weiterverkaufen 

Oft dauert es gar nicht lange, dann haben die Sparmaßnahmen so viel eingebracht und der Reparaturstau ist so eklatant, dass die Häuser wieder verkauft werden müssen. Viele Siedlungen wurden gleich mehrfach weiterverkauft. Das Insolvenzrisiko scheint von vornherein eingeplant zu sein. Denn die Wohnungen gleichen Zustands (oder Risikos) fassen die Fonds geschickt in jeweils einer Kommanditgesellschaft zusammen und schotten sie gegen den Rest ab. So haftet der Fonds nicht im Falle einer Insolvenz. 

Etwa 8000 Wohnungen in Dortmund befinden sich nahe an der Insolvenz der Eigentümerfonds. Das ist bundesweiter Rekord und Dortmund trägt den traurigen Titel: Hochburg der Heuschrecken.

Segregation 

Seit Jahren haben wir in Dortmund einen entspannten Wohnungsmarkt - im Schnitt stehen drei Prozent der Dortmunder Wohnungen leer. Der Trend geht im ganzen Land zum Eigenheim und zu richtig teuren Immobilien. Dortmund ist hier mit hohen Neubau-Zahlen ganz vorn dabei. Das können sich nur die Besserverdienenden und SeniorInnen leisten. Andere kaufen „gebrauchte“ Reihenhäuser und Altbauten, die sie für kleines Geld modernisieren. 

So „entmischt“ sich die Stadt: Jede Bevölkerungsschicht sucht sich ihre Viertel. Alle ziehen dahin, wo sie sich das Wohnen leisten können und ihresgleichen schon wohnt. Übrig bleiben die Wohnungen, Häuser und Straßen, in die niemand mehr ziehen möchte – wegen des schlechten Images, der mangelhaften Ausstattung, der maroden Bausubstanz. 

Im Dorstfelder Hannibal stehen 25 bis 30 Prozent leer! In diese Lücke stoßen die neuen Armutsflüchtlinge aus Osteuropa. Wenn keiner mehr in die Siedlungen ziehen möchte, nehmen die Heuschrecken jeden, der zahlen will. Zehn Leute auf vier Zimmern sind da keine Ausnahme. So können sich die Alt-MieterInnen nicht nur mit den säumigen VermieterInnen rumschlagen, sondern obendrein auch noch mit den neuen NachbarnInnen, die die Standards und Regeln des nachbarlichen Zusammenlebens nicht gewohnt sind, die es nicht besser wissen, denen es einfach egal ist.  

Max von der Grün würde sich im Grabe umdrehen 

Die MieterInnenräte in den Siedlungen selbst sprechen von der Bronx – und bitten trotzdem, ihr Gebiet nicht weiter kaputt zu schreiben. Nennen wir deshalb hier mal keine Namen. 

Und wieder mal muss „die Gesellschaft“ die Schäden und Katastrophen aus dem enthemmten Gewinnstreben „der Einzelnen“ bezahlen: Sozialarbeit vor Ort ist aktuell das vor Ort geforderte Mittel, um die größten Probleme anzugehen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen – ein Fass ohne Boden. 

Feigenblatt Sozialcharta

Dem öffentlichen Druck verdankt so mancher Verkauf eine Sozialcharta: Die Mieten wurden gedeckelt, Modernisierungen versprochen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Aus den vernachlässigten Siedlungen zieht weg, wer es eben kann. Und nachrückt, wer woanders nichts mehr findet. So entstehen in Westerfilde, Lanstrop und im Hannibal die neuen  Ghettos der Stadt.  

Drohgebärden 

Was kann die Stadt tun? Eigentümer sind immer noch die Anderen. Die Wohnungsmarktpolitik generell wird in Brüssel, Berlin und Düsseldorf betrieben. So nahm die Enquête-Kommission des Landtags "Enquete-Kommission Wohnungswirtschaftlicher Wandel und neue Finanzinvestoren" unter dem Vorsitz der GRÜNEN Daniela Schneckenburger erfolgreich ihre Arbeit auf – und wurde mit dem Landtag zusammen wieder aufgelöst (wohl deshalb gibt es auch keine Internetseite des Landtags zur Kommission). Hoffen wir auf ein gutes Ergebnis in der Landtagswahl.

Der Stadt Dortmund bleiben nur kleinste Daumenschrauben:  

1) Wohnungsaufsicht  

Bei schweren Mängeln wie Schimmel oder ausgefallenen Heizungen kann die Stadt  Instandsetzung oder Modernisierung verlangen und bei Nichtbefolgung Strafzahlungen verhängen. Zuvor müssen MieterInnen die Mängel dem Wohnungsamt anzeigen. 2011 gingen nicht einmal 30 MieterInnen diesen Weg. Die meisten trauen sich nicht, oder sie wissen nicht wie. Ähnliches gilt für Mietminderung: Auch das muss auch jede/-r einzeln und selbst für ihre/seine Wohnung machen.

Und die EigentümerInnen: Die zahlen so manches Mal lieber die Strafen, als auch nur einen Euro zu investieren.

2) Kosten der Unterkunft 

Sehr viele BewohnerInnen bekommen Hartz 4 – die Stadt zahlt ihnen die Kosten der Unterkunft. In den vergangenen Jahren versuchte die Stadt Dortmund immer wieder, den Zuzug in marode Wohnungen zu unterbinden - quasi mit einer schwarzen Liste. Doch das wurde ihr von Gerichten immer wieder untersagt.   

3) Aufkaufen 

Selbst ins Eigentum gehen, die Häuser entwickeln und wieder an den Markt zurückgeben – das wäre auch ein Weg. Aus diesem Grund beschloss der Rat Vorkaufsrechte für Westerfilde und Lanstrop. Seitdem werden diese Siedlungen nicht mehr von einem Fonds an den nächsten weiterverkauft, was zuvor mehrfach der Fall war. Bei Insolvenzen und Zwangsversteigerungen aber greift auch kein Vorkaufsrecht.

Selbst wenn die Stadt das Vorkaufsrecht ausüben wollte: Es gibt es in Dortmund nicht wirklich die entsprechende Gesellschaft, die es tun könnte. Auf dem Papier ist eine Stadterneuerungsgesellschaft zwar gegründet, mit 25.000 Euro Stammkapital könnte man aber kaum eine Wohnung bekommen. Und auch wenn formal die DOGEWO 21 Geschäftsbesorgerin ist, heißt das nur, dass sie die finanziell erzwungene Untätigkeit der städtischen Stadterneuerungsgesellschaft verwaltet. 

Das Sondervermögen der Stadt könnte hier ein neues Geschäftsfeld bekommen.

Hinweis: 
Viele Infos dieses Newsletters stammen aus: Sebastian Müller: Wie Wohnen prekär wird. Finanzsinvestoren, Schrott immobilien und Hartz IV. Sozialforschungsstelle Dortmund 2012. (Direkt bei der sfs für 1,50 Euro Schutzgebühr zu erhalten.) Wer mehr zum Thema wissen möchte, sollte das lesen.

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